Home ...
 

Phil Hammerstein

 

Leseprobe
"Gut versichert"

der Autor

die Romane

DOPPEL-Mord
Hilfreiche Geschäfte
Gut versichert ...

die Protagonisten

Doktor Heckler
und seine Freunde

Meinungen

Lesergemeinde
Presseschau

Feed back

meine Meinung
bisher ...

Kontakt

Bücherwunsch
E-Mail
 

Er hätte nach dem Verkehrsfunk noch den Wetterbericht  hören sollen.
„Sauwetter“, fluchte er leise vor sich hin. Angestrengt starrte er durch die Frontscheibe, über die die Scheibenwischer im Schnellgang ihre Arbeit verrichteten, jedoch ohne wesentlichen Erfolg. Die Sicht war miserabel und er hatte solche Sturzbäche kaum je erlebt. Ende August war es normalerweise um neun Uhr abends noch einigermaßen hell, doch die dunklen Wolken des Sommergewitters hatten die anbrechende Dämmerung urplötzlich in rabenschwarze Nacht verwandelt. Seit Wochen war der Sommer unerträglich heiß und trocken gewesen, die Meteorologen hatten sich gegenseitig überboten in der Beschreibung von Superlativen. In diesem Jahr hatten die Hochs Frauennamen und „Michaela“ war als das längste Hoch seit Beginn der Wetteraufzeichnungen bereits jetzt in die Gesichtsbücher eingegangen. So heftig wie die Trockenperiode gewesen war, so vehement tobte jetzt das Gewitter, welches Michaela endgültig den Garaus machte.
Dabei hatte dieser Freitag, der 29. August 2003 so vielversprechend begonnen. Doktor Andreas Heckler hatte seinen letzten Dienst als Notarzt in Düsseldorf absolviert. Ursprünglich hatte er diesen Job schon viel eher an den Nagel hängen wollen, aber der neue Leiter des Rettungsdienstes hatte ihn im Herbst letzten Jahres überredet, seine Kündigung zurückzunehmen. Warum er damals gekündigt hatte, daran mochte er lieber nicht mehr denken. Vor den langen Schatten dieser Vergangenheit hatte er immer noch Angst.
Dann hatte er sein neues Auto abgeholt, das erste nagelneue Fahrzeug, bislang hatte er sich nur Gebrauchtwagen geleistet. Es war eines jener Renaultmodelle, deren ungewohntes Design sich auch im Inneren des Wagens niederschlug und die mit allerlei elektronischem Schnickschnack vollgestopft waren. Nicht, dass er sich das gewünscht hätte, vielmehr waren diese Innereien Dreingabe eines Sondermodells, welches ihm außerordentlich günstig angeboten worden war. Allerdings war der Freitagnachmittag nicht dazu angetan, lange Einführungsvorträge des Verkäufers über die Bedienung dieses Wunderwerks der Technik zu ertragen. Jener Verkäufer hatte auch keinerlei Lust zu langen Erklärungen gehabt, schließlich lockte das Wochenende. So hatte Andreas Heckler ihn lediglich gebeten, als Fahrtziel „Zürich“ in das Navigationssystem einzugeben und war dann aufgebrochen. ...
Das Verhängnis hatte seinen Anfang genommen, als der Musikgenuss seiner Lieblings-CD auf der Höhe von Rastatt durch eine Verkehrsmeldung unterbrochen worden war, die Andreas Heckler veranlasste, die Autobahn an der Ausfahrt Baden-Baden zu verlassen. Bei Offenburg habe es einen schweren LKW-Unfall gegeben, durch den die Autobahn in Richtung Süden blockiert sei, die Umleitungsstrecken seien hoffnungslos überlastet. Nach dem Verlassen der Autobahn war die sanfte Frauenstimme des Navigators nörgelig geworden und hatte schließlich beleidigt geschwiegen. Er war nicht in der Lage, das Navigationssystem neu zu programmieren. Also hatte er den Autoatlas genommen und in altbewährter Manier eine Ausweichstrecke ausgetüftelt. Diese sollte über die B500, die Schwarzwaldhochstrasse, dann über Nebenstrassen nach Donaueschingen, Schaffhausen und schließlich nach Zürich führen. Doch bereits am Ruhestein hatte er seinen Entschluss bereut, aber da war es zu spät gewesen. Die heraufziehenden, finsteren Wolkenmassen verhießen nicht Gutes. Dann war das Gewitter mit aller Macht losgebrochen. Die Elemente waren derart entfesselt, als hätten sie alles nachzuholen, was ihnen während des langen Sommers verwehrt worden war. Sturmböen peitschen über die Straße und drohten die Tannen zu entwurzeln, der knochenharte Boden vermochte die Wassermassen nicht aufzusaugen, die in breiten Sturzbächen immer wieder über die Straße spülten. Heckler hatte Angst, nicht nur um sein neues Auto.
Jetzt befuhr er eine Nebenstrasse, die Abzweigung hätte er um ein Haar verpasst. Er tastete sich durch die Dunkelheit, stierte nach vorne, spürte den sich steigernden Kopfschmerz und fuhr viel zu schnell, weil er die zunehmende Ungeduld nicht ertrug. Es ärgerte ihn, dass er nicht um zehn in Zürich sein würde, um seine Freundin in die Arme zu schließen. Jennifer Lacroix hielt sich bereits seit einer Woche in Zürich auf, um ihre Kunstwerke einer renommierten Galerie auszustellen und vielleicht das ein oder andere Werk an den Mann zu bringen. Sie hatte vorgeschlagen, dass Heckler in der zweiten Hälfte der Ausstellung nach Zürich kommen sollte. In Wirklichkeit ging es aber nicht nur darum, Jennys Ausstellung zu bewundern oder sich ein paar schöne Tage am Züricher See zu machen. Es ging vielmehr um die Zukunft, die sich unmittelbar anschließen würde: Jennifer Lacroix und Andreas Heckler hatten es nämlich geschafft, einen Entschluss in die Tat umzusetzen. Einen Entschluss, den sie bereits vor einem Jahr gefasst hatten: sie zogen zusammen. Nach Ende der Ausstellung sollte also die praktische Umsetzung dieses Entschlusses erfolgen. Jenny wohnte in einer alten Mühle am südlichen Rand von Aachen, in der Voreifel. Die Mühle war nicht nur ein lauschiges Plätzchen, sie war auch groß genug für zwei und sie bot Raum für Jennys künstlerische Aktivitäten. Aber der Entschluss war nicht leicht gewesen.
Während durch Hecklers Kopf bruchstückhaft die ganze Ambivalenz dieser Entscheidung geisterte, blickte er angestrengt nach vorne. Der Regen war so dicht, dass er bei Fernlicht das Gefühl hatte, gegen eine Wand zu fahren, dass er orientierungslos wurde und noch weniger erkennen konnte. Zwischendurch tauchten unvermittelt Nebelbänke auf, die die ohnehin miserable Sicht völlig nahmen. Durch die rapide Abkühlung dampfte die Straße so stark, dass Nebel entstanden war.
Die starke Anspannung machte ihn müde und benommen, er reduzierte das Tempo aber nicht. Die Augenlider wurden unendlich schwer und er ertappte sich mehrfach dabei, wie er ruckartig den Kopf hob, weil er einzuschlafen drohte. Als auf der Fahrbahn ein dunkles Bündel auftauchte, reagierte er viel zu spät. Er riss das Steuer nach links, was sämtliche elektronischen Fahrhilfen dieses Wunderautos aktivierte. Er spürte, wie das Heck ausbrach und gegen das Hindernis stieß. Gleichzeitig versuchte er gegenzulenken, natürlich viel zu heftig, getrieben von der Angst, über die linke Fahrbahnbegrenzung die Böschung hinabzustürzen. Eine Leitplanke gab es an dieser Stelle nämlich nicht. Das elektronische Stabilisierungsprogramm des Wagens, welches die Ausweichbewegung nach links noch gutmütig quittiert hatte, war jetzt überfordert. Das Fahrzeug geriet außer Kontrolle und drehte sich wie in Zeitlupe genau anderthalb Mal im Urzeigersinn um die eigene Achse und landete dann mit einem heftigen Ruck im rechten Straßengraben. – Der Motor war ausgegangen, eine merkwürdige Ruhe kehrte ein, obwohl der Regen auf das Fahrzeugdach prasselte und die Scheibenwischer hin und her hüpften. Die gespenstische Situation wurde in kurzen Abständen durch Blitze erleuchtet. Die Scheinwerfer strahlten schräg nach oben, weil der Wagen mit dem linken Hinterrad im Straßengraben festsaß. Es dauerte eine ganze Weile, bis Heckler begriff, was passiert war. Was wirklich passiert war, begriff er allerdings erst sehr viel später. 
...
Heckler richtete sich auf und dachte nach. Inzwischen war er wieder soweit, seinen Verstand nutzen zu können. Und dieser Verstand sagte ihm, dass normalerweise keine toten Wildschweine auf der Straße lagen, insbesondere keine Wildschweine, die noch bluteten. Vielleicht hatte derjenige, dem das Schwein als Erstem zum Verhängnis geworden war, mehr Glück gehabt. Er leuchtete die Umgebung ab, was die kleine Taschenlampe überforderte, denn wirklich erkennen konnte er nichts. Dann ging er noch zwanzig Meter zurück, stellte das Warndreieck auf. Als er wieder neben dem Wildschwein stand, tauchte ein Blitz die Szenerie für einen Moment in grelles Licht. Andreas Heckler glaubte in dieser Sekunde, am linken Straßenrand etwas erkannt zu haben. Rasch überquerte er die Straße und leuchtete das Bankett ab. Der Rand der Straße war an dieser Stelle schmal und dahinter befand sich eine steile Böschung. Warum es hier keine Leitplanke gab, war unverständlich. Plötzlich stutze er: das durch die lange Hitze ausgedörrte Gras am Straßenrand fehlte an zwei Stellen, bei näherem Betrachten erkannte er die Schleifspuren, die sich auf der Böschung fortsetzten. Mit zitternden Knien versuchte er die Böschung hinabzusteigen, rutsche auf dem nassen Gras aus und schlidderte unkontrolliert fünfzehn Meter in die Tiefe. Dann stieß er an etwas Hartes. Die Taschenlampe war ihm entglitten und lag ein paar  Meter oberhalb. Auf allen Vieren krabbelte er hoch, griff die Lampe und leuchtete nach unten. Was er sah, jagte ihm einen derartigen Schreck in die Glieder, dass fürchtete, seine Beine würden ihren Dienst verweigern. Obwohl er als Notarzt häufiger vergleichbare Situationen erlebt hatte, war es doch etwas anderes, wenn er sozusagen als Privatmann damit konfrontiert wurde. In diesem Moment meldete sich aber sein notärztliches Gewissen und er stieg zu dem Fahrzeug hinunter, welches sich in eine stabile Schwarzwaldtanne gebohrt hatte. Motorhaube und Frontscheibe waren eingedrückt, aus dem zerborstenen Kühler stieg Wasserdampf auf. Der Unfall musste sich erst vor wenigen Minuten ereignet haben. Die Fahrertüre klemmte. Heckler steckte die Lampe in die Hosentasche und riss mit beiden Händen am Türgriff. Mit einer schier unendlichen Kraftanstrengung gelang es ihm, die Türe weit genug zu öffnen.
Der Mann war nicht angeschnallt gewesen und bei dem Aufprall gegen Lenkrad und zerberstende Frontscheibe geprallt. Es gelang Heckler, den Mann zurück in den Sitz zu drücken ...